Ausschnitt aus: Sefik Tagay & Serhat Ortac (2016): Die Eziden und das Ezidentum - Geschichte und Gegenwart einer vom Untergang bedrohten Religion. Landeszentrale für politische Bildung Hamburg.
Eziden sprechen (mit Ausnahme der Bevölkerung in Bahzanê und Baʼshîqe, in denen überwiegend Arabisch gesprochen wird) den nordkurdischen Dialekt Kurmancî als Muttersprache. Ihre traditionellen Siedlungsgebiete befinden sich innerhalb des Verbreitungsraumes der Kurden, die sich im Nordirak, im Nordosten Syriens, dem Südosten der Türkei und dem Westiran befinden. Weiterhin leben Eziden in Armenien und Georgien sowie in der Ukraine und in Russland. Der Großteil der aus der Türkei und Syrien stammenden Eziden, aber auch eine wachsende Anzahl der Eziden aus dem Irak, leben heute in der Bundesrepublik Deutschland, vereinzelt auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Belgien, Dänemark, Schweden, der Schweiz und Österreich.
Es gibt bis heute keine amtlich erhobene Statistik über die Zahl der Eziden. Die Schätzungen über die weltweite Population der Eziden reichen von sehr konservativen 200.000 (Guest 1993, S. VIII), über 600.000 (Açıkyıldız 2010, S. 34) und 800.000 (Tolan 2004, S. 13; vgl. auch Eißler 2015, S. 207) bis hin zu 800.000 bis 1.000.000 (Graichen 2015, S. 210). Wir selbst gehen davon aus, dass die Zahl der heute noch lebenden Eziden weltweit zwischen 800.000 und 1.000.000 liegen müsste. Dies legen die Zahlen der aus Shingal geflüchteten Eziden (ca. 400.000 bis 450.000) ebenso nahe wie die demographische Entwicklung in den letzten vier Jahrzehnten in Westeuropa und im Kaukasus. Hier sind die Geburtenzahlen stetig angestiegen (vgl. Tab. 1).
Das Hauptsiedlungsgebiet der Eziden befindet sich in der nordirakischen Provinz Ninive, vor allem in den Distrikten Shingal und Sheikhan. Hier leben schätzungsweise zwischen 600.000 und 700.000 ezidische Glaubensanhänger (vgl. United States Department of State 2012, S. 2). Etwa 400.000 bis 450.000 Eziden lebten noch bis zum Beginn des ab dem 03.08.2014 einsetzenden Völkermords in der Region Shingal und stellten dort die Bevölkerungsmehrheit (sie leben mittlerweile mehrheitlich in Flüchtlingslagern im Nordirak, der Türkei und Syrien). Etwa 60.000 leben in der Region Sheikhan, weitere 50.000 in Dohuk (die Flüchtlinge aus Shingal nicht mit einbezogen). 80.000 Eziden leben in und um die Zwillingsstädte Bahzanê und Baʼshîqe. Circa 10.000 leben schließlich in Bagdad.
Die Zahl der in Deutschland lebenden Eziden, die größte Diasporagemeinde weltweit, ist realistischerweise auf etwa 100.000 zu veranschlagen (ausführliche Darstellung siehe Kap. 3). Die Mehrheit der Eziden lebt hier in den Bundesländern Niedersachsen (vor allem im Großraum Hannover und Celle sowie Oldenburg und Bremen), Nordrhein-Westfalen (vor allem in Ostwestfalen und am Niederrhein), in Hessen (insbesondere in Gießen und Frankfurt) sowie in Berlin.
In Russland, Georgien und Armenien leben heute insgesamt etwa 100.000
Eziden (vgl. Mossaki 2014). Die meisten armenischen Eziden leben in den Städten Aragat, Talin, Aparan und Aschtarak in der Region Aragazotn sowie in Etschmiadsin und Hoktember in der Region
Armawir. Eine kleine Gruppe lebt schließlich in der armenischen Hauptstadt Jerewan. In Georgien leben Eziden überwiegend in der Hauptstadt Tiflis sowie in Telawi. Darüber hinaus leben einige
Tausend Eziden in der Ukraine sowie in Usbekistan, Aserbaidschan und Turkmenistan (vgl. dazu Omarkhali 2013b).
In der Türkei leben heute nur noch einige hundert Eziden. Wegen
anhaltender religiöser Diskriminierung und staatlich geduldeter Verfolgung sind sie bis Ende der 1980er Jahre fast vollständig aus der Türkei geflohen und haben überwiegend in Deutschland als aus
religiösen Gründen Verfolgte Asyl erhalten.
In Syrien lebten bis zum Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 noch etwa 15.000 Eziden (Açıkyıldız 2010, S. 34). Ihre Zahl dürfte sich signifikant reduziert haben. Die kriegerischen Umstände bewegten bislang rund vier Millionen Menschen aus Syrien zur Flucht. Die massive Bedrohung vor allem der von Kurden besiedelten Gebiete durch unterschiedliche Rebellen- und Terrorgruppen, in denen die Eziden überwiegend leben, lassen dies vermuten. Die Eziden aus Syrien stammen überwiegend aus der Region Kurd Dagh, die zwischen dem türkischen Gaziantep und dem syrischen Aleppo liegt, sowie der Region Cizire.
Im Iran gibt es eine kleine ezidische Gemeinschaft (schätzungsweise zwischen eintausend und mehreren
tausend Personen), die überwiegend in der Stadt Kermānschāh lebt. Wegen der repressiven iranischen Religions- und Minderheitenpolitik bekennen sie sich nicht offen zu ihrem Glauben
(Açıkyıldız 2010, S. 34; Uphoff 2013, S. 28). Über sie weiß man daher
sehr wenig.
Tab. 1: Übersicht über die Population der Eziden weltweit (Schätzzahlen)
Land |
Zahl der Eziden (vor dem 03.08.2014) |
Irak |
ca. 600.000 – 700.000 |
Deutschland |
ca. 100.000 |
Russland |
ca. 40.000 |
Armenien |
ca. 30.000 |
Georgien |
ca. 30.000 |
Syrien |
ca. 10.000 |
Iran |
ca. 1.000 – 3.000 |
Türkei |
ca. 500 |
restliche Welt |
ca. 50.000 – 100.000 |
Gesamtzahl der Eziden |
ca. 800.000 – 1.000.000 |
Gesamtzahl der Kurden |
ca. 25 Millionen – 30 Millionen |